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HR-CHANCE 19 – Challenge accepted!

Ring frei für die nächste Runde

 
 

Woche 6 im Homeoffice ist vorbei. Ich bin seit 6 Wochen zu Hause. Ich meine, dass ich in 25 Jahre nicht so lange am Stück der Arbeit fern war – inkl. Urlaub bei der Geburt der Kinder (damals gab es noch keine „Vätermonate“). Verrückt. Menschen, die mir wichtig sind, kann ich nicht „in echt“ sehen. Mein Team fehlt mir, auch wenn ich rund um die Uhr mit ihnen chatte.
Hobbys, die Teil meiner Identität sind, kann ich nicht leben. Sogar das Autofahren vermisse ich etwas – ich hätte nicht gedacht, dass ich das als Pendler mal sagen würde. Heute Morgen weckte mich der Radio-Wecker während der Verkehrsdurchsage. „Freie Fahrt auf allen Straßen in ganz Bayern“. Ich musste schmunzeln. In ganz Bayern, Deutschland und Europa. Wahrscheinlich freie Fahrt auf allen Straßen weltweit. Ein Traum, oder? (Wikipedia 2022: Verkehrsfunk: Ein Relikt aus der Vor-Corona-Zeit?)

Nach dem ersten Schock, der sich oft ein bisschen wie Abenteuer oder Campingurlaub anfühlte, bis ich mich und Frau, Kinder und Katze sich an die neue Dauerpräsenz zu Hause gewöhnt haben, kehrt sowas wie eine surreale Normalität ein. Ballett im Wohnzimmer. Einkaufen mit strengen Auflagen. Waren, die nicht mehr geliefert werden können. Der Wertstoffhof nimmt nicht mehr alles an, weil zu viele Leute Keller und Kinderzimmer ausmisten. Die Entsorgung kommt nicht mehr nach.
Oder gestern. Da hatte ich einen Physio-Termin. Da wird verständlich darauf bestanden, dass man sich die Hände beim Hereinkommen desinfiziert. Dann zieht man sich aus und begrapscht sich gegenseitige 30 Minuten...Körper, Hände, Kopf…. Haut auf Haut. Aber mit Maske. Das passiert, wenn Entscheidungen auf Makro-Ebene auf Situationen der Mikro-Ebene treffen.

Und es gibt Auf uns Abs. Zuhause und im Job und bei mir selbst. Man kommt sich näher. Manchmal näher als einem lieb ist. Gibt ja wenig Alternativen im Moment und zusammenrücken und zusammenhalten ist da Gebot der Stunde. Eines der Learnings der letzten Wochen: Es gibt herrliche Methoden, sich auch online und digital zu streiten.

Ich als Person bemerke für mich eher untypische Stimmungsschwankungen. Oft sehe ich das alles nicht so eng. Mal ehrlich: Wir sind in Woche 6. Kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Schon gar nicht bei diesem offenen und im echten Wortsinn ungewissem Ausgang. Ich habe Rücklagen. Und Möglichkeiten zu sparen. Und neue Zeit für Dinge, die sonst zu kurz kommen. Sie sollten mal unseren Garten sehen. Der ist in einem Top-Zustand.

Manchmal gibt es aber auch diese eher dunklen Gedanken. Ist der Job sicher? Und der meiner Frau? Stimmt es, was die Politik sagt? Und werden wir uns erholen in absehbarer Zeit? Ist es der Anfang oder das Ende? Kommt es schlimmer? Wenn ja: Wie schlimm? Und könnte ich jetzt was tun, um vorzusorgen? Was verkaufen? Oder Verträge kündigen? Und was bedeutet das alles eigentlich für unsere Kinder?

Und mich beschäftigen die unterschiedlichen Reaktionen der Menschen. Von heller Panik bis komplettes Ignorieren der Wirklichkeit prasselt alles auf mich ein. Das trägt natürlich auch nicht dazu bei, sich selbst zu festigen oder zu orientieren.

Ich beobachte Investoren, Geschäftsführer und Inhaber, die kopflos am liebsten alles abwickeln würden, um ein vermeintliches Ende ihres Business abzuwenden, selbst wenn objektive KPIs derzeit eine andere Sprache sprechen. So, als ob ich meine Kinder rein vorsorglich zur Adoption freigäbe, weil ich mich sorge, sie nicht dauerhaft ernähren zu können. Wo bleibt der unternehmerische Weitblick? Der Entrepreneur-Kampfgeist? Die ganze holistische Purpose- und WHY Diskussion der letzten 3 Jahre? Jetzt, wo es nötiger wäre als je zuvor, sich zu vernetzen, agil, digital und mit der Kraft aller zu handeln.

Auf der anderen Seite zeigen sich Leute mit einer schrillen Unbekümmertheit; sie leiten aus nicht-überfüllten Krankenhäusern ab, dass alles übertrieben und unnötig wäre. Beklagen sich lautstark über verletzte Grundrechte. Grundrechte, die sie selbst teilweise vor noch nicht allzu langer Zeit nicht geschätzt oder verteidigt haben. Was wird im Moment über Religionsfreiheit diskutiert, weil Kirchen keine Gottesdienste feiern. Seit bestimmt einem Jahrzehnt werden Kirchen mangels „Nachfrage“ geschlossen und zweckentfremdet benutzt, verkauft und umgewidmet. Es wird über Moscheen und Synagogen kritisch gestritten und brandgestiftet. Und nun werden unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit kurzfristige Hygienemaßnahme scharf kritisiert und Diktaturstendenzen angeprangert. Auch hier zeigt sich, was sich vorher in so vielen komplexen Fragen (Finanzkrise, Flüchtlingskrise, usw.) auch zeigte: Die einfachsten und lautesten Antworten und Lösungen kommen von ausgerechnet den Menschen, die am wenigsten Fachverstand haben und natürlich auch am wenigsten Verantwortung zu übernehmen haben, wenn Entschlüsse falsch waren. Anmaßung? Ignoranz? Besserwisserei? Oder einfach nur Populismus? Erst hieß es, die Politik sei zu zögerlich. Dann, die Maßnahmen seien zu regional und unabgesprochen (ich verstehe noch immer nicht, was es bringen soll, Schulen in Flensburg zu schließen, wenn in Bayern oder BW eine Seuche ausbricht. Auch nicht, wenn es dann eine abgestimmte und zentrale Maßnahme wäre. Die Feuerwehren rücken ja auch nicht bundesweit aus, nur weil lokal irgendwo ein Haus brennt. Ich denke, es gibt gute Gründe, den Seuchen- und Katastrophenschutz dezentral zu organisieren.)

Und jetzt, da schlimmeres Unheil abgewendet werden konnte, werden die Maßnahmen größtenteils als übertrieben angeprangert und wilde Vermutungen über Motive angestellt.
Mir kommen die Feuerlöscher in den Sinn, die man ja auch aufstellt und nahezu nie benutzt. Vorsorge? Prävention? Übertreibung? Hysterie? Geldmacherei? Alles ein bisschen wahrscheinlich.

Mir kommt dann immer ein Spruch in den Sinn: Den Krimi von hinten zu lesen und dann laut zu rufen „ich weiß, wer der Mörder ist“, ist nicht sonderlich schwer.

Wir alle sind – vor, während und auch nach Corona gezwungen, das Leben nach vorne zu leben – und verstehen es leider nur nach hinten. Meiner Meinung nach ist es das, was das Leben reizvoll, spannend, abwechslungsreich und ja – leider auch verdammt anstrengend und unsicher macht. Aber alles andere wäre ein plattes Malen-nach-Zahlen: Sieht schön aus, ist aber irgendwie nicht wirklich Kunst oder Können und es ist immer das gleiche langweilige Ergebnis, egal wer es ausführt. Und als Pädagoge finde ich es auch nicht mündig und emanzipiert.

Um dem Ganzen wieder etwas mehr Konkretheit zu geben: Auch als überzeugter HRler und Coach habe ich ein paar Gedanken und Ableitungen zur aktuellen Krise.

Wir diskutieren seit Jahren auf Messen, Social Media und Fachzeitschriften, Schulungen und Tagungen lebendig, hitzig und benchmark-lechzend über das Thema Digitalisierung und Agilität: Was bedeutet das? Wofür brauchen wir das? Wie geht das? Und wie bringen wir es in die Organisationen?

Ich denke, dass wir zu diesen Themen zwangsmäßig ein kräftiges Stück weiter sind. Die Notwendigkeit dürfte nun flächendeckend erkannt worden sein. Und die konkreten Vorstellungen, was es heißt, ebenso.

Aber sehen wir HRler das auch wirklich als Chance? Und ich meine damit nicht die sprichwörtliche philosophische Chance, die ja mit jeder Krise angeblich mitschwingt und bei der so was leicht Esoterisches mitschwingt. Ich meine mit Chance, nun Organisation, Struktur und Formen der Zusammenarbeit nachhaltig zu verändern. Machen wir uns nichts vor: Diese Dinge ändern sich gerade massiv. Ohne oder mit HR. Die Frage ist, haben wir den Mut, diese Veränderungen nicht nur zu begleiten oder zu tolerieren, sondern ernsthaft zu gestalten. Zu fördern, zu unterbinden, auszubauen oder zurückzubilden. Diese Phase wird meiner Meinung nach unsere PE- und OE-Instrumente stark unter Druck setzen. Vieles ist abgesagt und pausiert. Wer garantiert uns, dass wir es wieder hochfahren können. Und wenn, wie? Es ist meiner Meinung nach keine Zeit, dass jetzt abzuwarten und zu schauen was passiert. Es ist dringend geboten, das aktiv zu gestalten und sich nicht nur mit arbeitsrechtlichen Fragestellung zum Thema Kurzarbeit und Massenentlassung zu befassen. Es ist nun existentiell nötig, Führungs- und Teamkultur zu entwickeln und Change zu steuern.
Liebe HR-Kollegen und Coach-Kollegen: Lassen Sie uns den Ball auf- und Verantwortung übernehmen: Nicht von außerhalb des Boxrings schlaue Sprüche klopfen oder demütig das Geschehen ertragen, wie wir es so gerne tun. Lassen Sie uns beherzt, mutig und schlagkräftig mit einer Portion Resilienz in den Ring springen und unsere Frau/unseren Mann stehen und die Herausforderung aktiv annehmen und unser ganzes Wissen, die jahrelange Erfahrung und allen Optimismus und Zielstrebigkeit auffahren und unser Bestes geben. Es wird Rückschläge und Erfolge geben. Pleiten, Pech und Pannen. Und warme Moment. Quick wins und echte Langstrecken. Zeit, alles aus den Resilienz-Seminaren Gelernte in die Tat umzusetzen und zu leben.

Challenge accepted!